Übertragen Sie noch oder beraten Sie schon?

Klarheit über die eigenen Muster macht Beratung wirksamer – eine Einladung zur Selbsterfoschung für Berater

Beratung ist Co-Kreation, idealerweise zur Erschaffung von Möglichkeitsräumen, die ein neues Handeln der Klientin/des Klienten nach sich ziehen können.

Im systemischen Dreischritt arbeiten wir mit unseren Klientinnen/Klienten an ihren Wahrnehmungen, Erklärungen und Bewertungen. Wir „dekonstruieren“ feste Bedeutungszuschreibungen und innere Stellungnahmen und ermöglichen so neue. Das kann auf verschiedenen Ebenen geschehen: Einmal wird z.B. bei einer Führungskraft im Coaching durch eine Perspektivübernahme ein anderer Blick auf eine Situation im Mitarbeitergespräch möglich.

Manchmal ist der Einblick in die eigene Konstruiertheit viel tiefer.

Ein/e Klient/in erkennt Grundmuster, die seine Wirklichkeit formen – zum Beispiel entdeckt eine Führungskraft die eigene innere Stimme, die fortwährend verlangt „Sei stark und schaff es allein“ – und kommt damit einem inneren Gesetz auf die Spur, das bestimmend ist für das gesamte persönliche Handeln in vielen Lebensbereichen. Dieses Gesetz bestimmt, worauf der Blick gelenkt wird, was für das eigene Handeln verboten ist, was geboten ist, wie auf andere Personen reagiert wird, was man nicht wünschen darf, was man nicht fühlen darf.

Damit sind bestimmte Felder der inneren Landkarte also verdeckt – und natürlich schränkt das die Handlungsvielfalt, den Zugang zur eigenen Intelligenz und die Lebensqualität ein.

Also helfen wir unseren Klientinne/Klienten bei der Dekonstruktion.

Und an diesem Prozess sind wir beteiligt, klar also, dass hier Konstrukt (Klient/in) auf Konstrukt (Berater/in) trifft.

Die Vergangenheit produziert die Inhalte unserer Beratung

Auch wir Berater/innen werden von unseren Konstruktionen geleitet. Wir sammeln wie unsere Klientinnen/Klienten Erfahrungen und Wissen an.

Das ist natürlich hilfreich, wenn es um unser Fachwissen als Berater, um Methoden, um unsere Feldkompetenz geht. Um Erfahrungen mit den Fragestellungen der Klienten, die den Blick weiten können, den Deutungs- und Handlungsraum vergrößern.

Doch „man erblickt nur, was man schon weiß und versteht“ (Goethe), und man fühlt nur, was man fühlen darf: Unsere inneren Strukturen produzieren die Inhalte unserer Beratung.

In Selbsterforschungen mit befreundeten Kollegen haben wir einige Beispiele gesammelt: Eine innere Stimme von A. sagt „Sorge dafür, dass Du von allen gemocht wirst und sei ein starker Mann.“ In Auftragsklärungen verführt sie ihn dazu, übersteigerte Ziel- und Machbarkeitsvorstellungen der Auftraggeber ungefragt und ohne es zu bemerken zu übernehmen – und später die Suppe auslöffeln zu müssen. Beraterin B. ist sehr handlungsorientiert und einem Teil von ihr kann es oft nicht schnell genug gehen. Noch in der Erkundungsphase in einem Coaching spürt sie die Impulse, „fertig zu werden“ und übernimmt auch den Lösungsdruck der Klientin ungefragt – zu Lasten des gemeinsamen Verstehens. Coach C. arbeitet mit einem Klienten, der stark daran zweifelt, ob überhaupt irgendetwas helfen könnte und fängt selbst an, die Situation als ausweglos zu sehen, in ihm springen alte Konflikte an: „Ich muss es schaffen“ und „Du kriegst es sowieso nicht hin“. Sie sorgen dafür, dass er sich von der Unwissenheit überfordert fühlt – und blockieren die Möglichkeit, sich auf die Arbeit, den Prozess, das Nicht-Wissen einzulassen.

Nicht nur unser Wissen über Beratung, unser ganzes Weltbild und auch unsere Prägungen, Bewältigungsmechanismen, Vermeidungsreaktionen, Antreiber, all unsere Erfahrungen und Erwartungen – unser ganzes Geworden-Sein! – produzieren die Inhalte unserer Beratung.

Das heißt, die Vergangenheit produziert die Inhalte unserer Beratung indem sie sich ins Jetzt drängt: Was wir von unseren Klientinnen/Klienten wahrnehmen ist von unseren Mustern abhängig, was als Reaktion in uns auftaucht, wie wir das beurteilen, was der Klient tut und braucht, wie wir intervenieren, auf ihn reagieren.

Doch bemerken wir, welche Konstruktionen und inneren Stimmen da gerade aktiv sind?

Wissen wir, was wir tun?

Unsere inneren Strukturen sind uns im Alltag nicht bewusst. Unser Handeln geschieht zum größten Teil auf der Basis uns nicht gewahr werdender automatisch ablaufender Prozesse.

Wir begreifen unsere Struktur als selbstverständlich, sie ist der „Raum“, der unsere Wahrnehmung definiert. So wie ein Fisch das Wasser für selbstverständlich hält und die Frage danach, was Wasser ist, nicht beantworten könnte.

Es gilt zu erkennen, dass wir nicht steuern, sondern gesteuert sind.

Um wirksam zu sein, sind wir eingeladen, uns immer besser selbst zu verstehen und diese automatisch ablaufenden Prozesse mehr und mehr zu durchschauen.

Wie können wir unseren Mustern auf die Spur kommen?

Wer dekonstruiert uns Berater?

„Lerne, mitten im Wirken innerlich ungebunden zu sein“, trägt uns Meister Eckhart auf.

Unsere Muster erkennen wir nicht so sehr durch das Wissen, dass es prinzipiell Muster gibt, ihre Wirkung will vielmehr ganz persönlich entdeckt, erspürt, erlebt werden.

Wir können den Blick wenden: Von außen, von der Selbstverständlichkeit des Selbst, vom „Downloaden“ – nach innen. Wessen bin ich mir gewahr?

Wir können die Inhalte und Funktionsweise unseres Instrumentes „Bewußtsein“ immer besser kennenlernen, und zum Beispiel begreifen, in welchem Ausmaß Grundüberzeugungen oder die Selbstentwicklung unser Sein und Handeln strukturieren.

Wir können uns bei der Muster-Forschung begleiten lassen – oft ist ein Gegenüber hilfreich, das uns dabei hilft, tiefer zu schauen, z.B. in der Supervision, Intervision oder in Seminaren und anderen Containern zur Selbsterforschung.

Mit dem Gewahrwerden unserer Muster ist der erste Schritt getan. Jetzt können wir erfahren, worauf sich aus unserem Gewordensein heraus unsere Aufmerksamkeit richtet und was wir als Realität definieren. Wir können uns zu größeren Perspektiven einladen, dazu, mit unseren Mustern durchlässig zu werden.

So wird der Raum unserer Wahrnehmung und Handlungsmöglichkeiten immer größer.

Artikel / Forschung