Konzeptionelle Entscheidungen sind vielschichtig

Bei der Konzeption der User-Interfaces von interaktiven Produkten oder Services werden zahlreiche Entscheidungen auf verschiedenen Ebenen getroffen – explizit oder implizit. Ohne explizite Konzepte entscheidet oft notgedrungen der Entwickler. Eine gute User Experience erreicht man anders.

Entscheidungen explizit treffen

Die Konzeption interaktiver Systeme oder Services bedeutet das Treffen einer Vielzahl von Entscheidungen. Jeder Wireframe, jedes Ablaufdiagramm und jede Design-Vorgabe enthalten Entscheidungen zu typischen Fragestellungen im User-Interface-Design. Um Konzepte mit guten Vorgaben und abgestimmt mit der Entwicklung spezifizieren und umsetzen zu können, sollten diese frühzeitig bekannt und mit wichtigen Stakeholdern abgestimmt werden. Dabei ist es wichtig, Entscheidungen nicht nur implizit, sondern explizit zu treffen. Das heißt regelbasiert (Was ist das Gestaltungsprinzip hinter dem Vorschlag?), für alle Stakeholder sichtbar (also erfahrbar, z. B. über Szenarien, Skizzen oder Prototypen) und bzgl. der Konsequenzen (hinsichtlich der Stakeholderanforderungen) bewertbar. Gibt es bereits implizit getroffene Entscheidungen, müssen diese explizit gemacht werden.

Konzeptionelle Entscheidungen können unterschiedlich weitreichend sein, verschiedene Detailgrade aufweisen und sich auf diverse Bereiche eines interaktiven Systems beziehen. So kann es beispielsweise darum gehen, die Interaktionsabläufe (z. B. die Schritte in einem Checkout-Prozess) zu gestalten, über die farbliche Hervorhebung von Schaltflächen zu entscheiden, oder aber ganz grundsätzliche Richtungsentscheidungen, darüber was ein System können soll, zu treffen.

Um eine ganzheitliche User Experience zu erreichen, muss der Fokus auf die Nutzung, also die Perspektive des Nutzers bewahrt werden. Hierzu wird eine Systematik benötigt, um notwendige, explizit zu treffende Entscheidungen zu erkennen und bereits getroffene Entscheidungen einordnen zu können.

Unser Ansatz für User-Interface-Konzeption: Modell für konzeptionelle Entscheidungen

Für den systematischen Zugang zum Thema hat sich für uns das Modell „The Elements of User Experience (Garrett 2002/2011)“ als besonders nützlich erwiesen. Basierend auf diesem Ansatz hat artop ein eigenes Modell entwickelt, um die Perspektive der Nutzung an den Anfang zu stellen. Dafür wurde mit dem „Nutzungsdesign“ ein wichtiger gestaltender Aushandlungsschritt zwischen optimaler Nutzung und den technischen Möglichkeiten eingeführt und mit den Gestaltungsaufgaben aus Garretts Modell kombiniert

Das artop-Modell für konzeptionelle Entscheidungen dient uns sowohl für die Unterstützung der Konzeption als auch bei der Evaluation von User-Interfaces. Beginnend mit der Gestaltung der späteren Nutzung, dem Nutzungsdesign, bis hin zur optischen Gestaltung der Oberfläche, dem Look & Feel, lassen sich hier notwendige Gestaltungsaufgaben erkennen und getroffene Entscheidungen einordnen. Die Konzeption eines Systems oder einzelner Teilaspekte lässt sich dabei grob in drei Phasen einteilen: das Nutzungsdesign, die Grob- sowie die Feinkonzeption.

Nutzungsdesign: Nutzungsszenarien und Funktions- und Informationsangebot aushandeln

Nutzungsdesign

Aushandlungsprozess zwischen der Art und Weise der Nutzung (Nutzungsszenarien) und den dazu notwendigen Funktionalitäten und Inhalten (Funktions- und Informationsangebot)

Nutzungsszenarien

Art und Weise der Nutzung – wie Benutzer sich verhalten werden, um mit dem Produkt oder Service ihre Ziele zu erreichen

Funktions- und Informationsangebot

Detaillierte Beschreibung der notwendigen Funktionalitäten und Definition der Inhalte, Informationsbedarfe und Informationsflüsse

Grobkonzeption: Interaktionsdesign, Informationsarchitektur und Navigationsdesign

Interaktionsdesign

Auswahl der grundsätzlichen Interaktionsprinzipien, Strukturierung des Interfaces sowie Festlegung der Interaktions- und Handlungsabläufe (Workflows)

Informationsarchitektur

Definition der Pfade und Gestaltung der Art und Weise des Zugangs zum Funktions- und Informationsangebot (z.B. Menüs, Verweise, Sitemaps, Suche)

Navigationsdesign

Detaillierte Beschreibung der notwendigen Funktionalitäten und Definition der Inhalte, Informationsbedarfe und Informationsflüsse

Feinkonzeption: Interfacedesign, Informationsdesign und Look & Feel

Interfacedesign

Gestaltung aller einzelnen Screens durch Auswahl, Kombination und Positionierung von Interaktionselementen (z. B. Buttons, Textfelder und Labels)

Informationsdesign

Gestaltung der Darstellung aller Informationsobjekte (z. B. Texte, Daten, Werte) um Verstehen und Interpretation der Inhalte zu unterstützen

Look & Design

Gestaltung der Inhalte und Formen für die menschliche Wahrnehmung und eine einheitliche unverwechselbare Erscheinung visuell durch Farbe, Layout und Form (unter Berücksichtigung z. B. der Gestaltgesetze ), aber auch auditive und haptische Aspekte

Iterative Bearbeitung von Konzeptaufgaben – der Kern menschzentrierten Designs

Um die Qualität der Lösung zu sichern, wird die User-Interface-Konzeption in Iterationen durchgeführt, wie es im menschzentrierten Entwicklungsprozess vorgesehen ist. Das heißt mit Wiederholungen und Schleifen zur Optimierung des Ergebnisses. Jeweils angrenzende Aktivitäten überlappen sich dabei und werden in der Praxis gebündelt durchgeführt. Der Blick ist dabei selbstverständlich ganzheitlich, es gibt also nicht für alle Gestaltungsaufgaben im Projekt eine einzelne Rolle oder Aktivität.

Neben kleineren Kurziterationen sind vor Allem Iterationen über die drei Hauptphasen, dem Nutzungsdesign („was soll den Benutzer wie unterstützen“), der Grobkonzeption („wie funktioniert das User-Interface grundsätzlich“) und der Feinkonzeption („vollständige User-Interface-Spezifikation“) notwendig. Dabei trägt das Nutzungsdesign zur Frage bei, welche Funktionen und Informationen das technische System zur Verfügung stellen muss. Außerdem zur Klärung, ob die geplante Art und Weise der Nutzung zu den Businesszielen und Geschäftsmodellen passt.

Nach Evaluation der in der Grobkonzeption geschaffenen Prototypen und Abstimmung mit den Stakeholdern können Systemarchitekturen entwickelt und implementiert werden. Parallel kann das User-Interface weiter ausspezifiziert werden, weil keine technisch relevanten Änderungen mehr zu erwarten sind.artop KonzeptionsebeneDie konzeptionellen Entscheidungen sind also umso besser, je klarer die Anforderungen an diese sind. Bei jeder Entscheidung gilt es, eine enge Zusammenarbeit der jeweiligen Stakeholder aus den Bereichen Mensch, Business und Technik sicherzustellen. Das bedeutet, auf Abstimmungsbedarfe einzugehen, also z. B. Entwickler, Management und Designer regelmäßig an einen Tisch zu holen sowie potenzielle Benutzer einzubeziehen. Konzeptionelle Entscheidungen sollten iterativ gegen die unterschiedlichen Stakeholder-Anforderungen evaluiert werden.

Werden die Konzeptentscheidungen im gesamten Modell sorgfältig und vor Allem explizit getroffen, wird eine konsistente mit allen Stakeholdern abgestimmte Lösung geschaffen und damit nicht nur die Umsetzbarkeit gewährleistet, sondern eine hohe Qualität hinsichtlich Usability und User Experience sichergestellt.

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