Paradoxe Seelenmassage nach Luhmann – Eine Hommage an die Ausbildung zum/zur Organisationsberater/in

Kürzlich, als Spanien unterging, beendeten wir unser 2. Curriculum der Ausbildung zum/zur Organisationsberater/in. 15 Monate sind wie im Fluge verrauscht, obwohl oder weil wir soviel miteinander erlebt und erfahren haben. Bei einer assoziativen Methode im Abschlussmodul zur Funktion der Organisationsberatung entstand ein prägnanter Brigitte-Zeitungsartikel zur Seelenmassage nach Luhmann, der hier von mir mit einer Anschlusskommunikation weiter gesponnen wird.

Als gelernter Masseur und medizinischer Bademeister interessieren mich nicht einfach nur die Triggerpunkte und Kunstgriffe einer Wohlfühlpraxis, sondern auch das hinterlegte Heilungskonzept. Keine Praxis ohne Theorie. Deswegen möchte ich kurz über die Konzeption dieser außergewöhnlichen Seelenheilungspraxis nach Luhmann philosophieren.

Wider den Allmachtsphantasien

Die Luhmannsche Seelenmassage entlastet alle von ihr Verwöhnten von dem anmaßenden Gefühl der Allmächtigkeit, für alles Böse und Schlechte in der Welt verantwortlich zu sein, in dem sie auf die Dynamik von zufälligen und komplexen Zusammenhängen in menschlichen und organisationalen Begegnungen hinweist. Jede menschliche Handlung und Situationsdeutung erfährt ihren Sinn vor dem Zusammenhang der vielfältigen situativen Faktoren und kann nicht beliebig gewählt werden. Gäbe es andere Umstände, wären andere Handlungen möglich. Luhmann verweist hier zwar auf die Verantwortung des Einzelnen, gestaltender und damit aktiver Part einer Situation zu sein, gleichzeitig entlastet er vor der unmenschlichen Überlastung des Menschen, alles steuern und retten zu können, wo noch so viele andere mitretten und mitsteuern.

Blinder Fleck statt Triggerpunkt

Doch mit der Entlastung ist es noch nicht genug. Die Luhmannsche Beobachtungstheorie beschreibt nicht nur die Begrenzung von Einzelperspektiven, sondern auch die Begrenzung der Selbstbeobachtung durch die Erfindung des Blinden Fleckes. Blinde Flecken tun nicht weh, weil man sie nicht kennt und spürt. Wir wissen nicht, was wir nicht wissen. Wir wissen nur, dass wir nicht wissen, was wir nicht wissen. Unsere Selbstbeobachtungs- und Selbstbeschreibungsfähigkeit ist nur ein hauchdünnes Abbild des wundervoll vielfältigen und überraschenden Lebens in uns. Unsere Selbstbeschreibungsfähigkeit ist wie ein Kino: Wir sitzen drin und schauen uns beim Leben zu und irgendein verfluchter Drehbuchautor/Regisseur vermasselt ständig das Happy End.

Liebe Deine Hindernisse!

Außergewöhnlich an der Luhmannschen Diktion ist auch seine buddhistische Haltung zum Bestehenden: Radikale Akzeptanz heißt das Mantra. Entgegen vieler moderner Theorien stellt Luhmann nicht das Fehlende und Unperfekte in den Mittelpunkt seiner Betrachtung und damit die inhärente Aufforderung zur Abschaffung. Fokus seines Denkens ist das Verstehen des Soseins und damit die Akzeptanz der jeweiligen Sinnhaftigkeit von Handlungen und Denkmustern. Jedes soziale System ist so, weil es nicht anders werden konnte. Und wenn es doch anders werden will, dann muss es dieses Sosein und dessen stabile Sinnhintergründe in Rechnung stellen. Jedes Sosein ist nützlich und diese Nützlichkeit wird zum Hindernis bei allzu leichtgewichtigen Veränderungsgelüsten.

Wieso paradox?

Paradox ist Luhmanns Seelenmassage, weil sie die Steuerung kritisiert und gleichzeitig die von ihr Verwöhnten ermutigt, wohlfeil und scheiterfreudig Impulse zu setzen. Die Akzeptanz von Lebensparadoxien, wie z.B. der von Chancen und Risiken, die es in jeder Situation geben wird, lässt Impulsgeber das Erreichte schätzen und das noch nicht erreichte Neue kritisch hinterfragen. Impulse gewinnen somit an Präzision und heiterer Gelassenheit, weil sie um ihre Begrenzung wissen. Keine Impulse setzen ist auch keine Lösung. Oder wie hieß es früher: Du hast keine Chance, nutze sie!

Frank Schmelzer ist Leiter der Ausbildung zum/zur Organisationsberater/in. Das 4. Curriculum für diese Ausbildung startet am 15.09.2014.

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