Warum Training als Lernformat heute und zukünftig besonders relevant und spannend ist

Jens Hüttner

Ein Interview mit Jens Hüttner

Jens Hüttner, Trainer, Coach und Mitbegründer von artop, leitet dort seit mehr als 25 Jahren die Trainer:innenausbildung. In diesem Interview spricht er über die Entwicklung von Training und der Rolle von Trainer:innen, die besonderen Aufgaben im Training und darüber, warum Training als Lernformat heute und zukünftig besonders relevant und spannend ist.

Hallo Jens, du begleitest gerade schon das 30. Curriculum der Trainer:innen-Ausbildung bei artop. Wann und wie hat dein Weg als Trainer angefangen?

Das war um 1990 herum, da war ich am Ende meines Psychologie-Studiums an der Humboldt-Universität zu Berlin und habe parallel schon als Mitarbeiter am Institut gearbeitet. Zu der Zeit gab es ein Lehrangebot, das als Zusatzleistung angeboten wurde. Das nannte sich einfach nur „Kommunikationstraining“. Das habe ich dann als Teilnehmer ausprobiert und war davon total begeistert und berührt. Ich habe dann engeren Kontakt zu der Person aufgenommen, die das Training damals durchgeführt hat. Mit ihm als zweite Trainingsperson habe ich dann Trainings konzipiert und durchgeführt und diese für die Studierenden in der Universität angeboten. Kurze Zeit später dann auch alleine und mit anderen Kolleg:innen.

Was genau hat dich an den Trainings damals begeistert?

Mich hat die Art zu arbeiten total begeistert: die Art, wie man im Training zusammen mit anderen Menschen im Kontakt und im Austausch ist, Dinge selber ausprobiert und interaktiv lernt. Ich habe damals im Studium teilweise Vorlesungen gehört, die wirklich noch gelesene Informationen aus einem Buch waren. Die Trainings waren also – mit dem verglichen, was ich sonst vor allem gemacht habe – wahnsinnig interaktiv.

Die Themen waren vor allem „Ich-nahe-Themen“. Es waren diverse und allgemeine Kommunikationsthemen, die sehr stark mit der eigenen Person verbunden waren. Kleingruppenarbeit, Personenarbeit, Bewegungsarbeit wie zum Beispiel Aufstellungen und Nähe-Distanz-Übungen, das waren alles Dinge, die ich vorher nicht kannte. Mich hat das damals alles sehr begeistert, auch die Tiefe der Beziehungen, durch die wechselseitige Resonanz, die in sehr kurzer Zeit im Training entstanden ist. Unsere Spiegelneuronen feierten ein Fest.

Wie hat sich Training verändert, wenn du damals mit heute vergleichst?

Natürlich ist thematisch auch einiges anders geworden, wir haben heute andere Modelle und Inhalte zur Verfügung. Ich glaube aber, vor allem die Themen, die damals schon da waren, wie Führung, Zeit- und Selbstmanagement, Teams oder Kommunikation haben heute nochmal eine andere Bedeutung bekommen, weil sich die Rahmenbedingen massiv verändert haben. Die Rahmenbedingungen in der Welt, aber auch in den Organisationen, in den Strukturen waren vor 30 Jahren noch andere als heute. Die Bedeutung von sozialen Kompetenzen und der Fokus auf die Personen als „Ganzes“ im Training ist exponentiell gestiegen.

Am meisten hat sich mein Verständnis von der Trainer:innen-Rolle verändert. Damals war es vor allen Dingen die Idee, als Expert:in für ein bestimmtes Thema, wie z.B. Kommunikation, dazustehen, Input zu geben, dann dazu Übungen anzubieten und dann zum nächsten Thema überzugehen. Mein Anspruch an eine:n Trainer:in heute wäre eher, dass er oder sie Expertise hat, mit dieser aber zurückhaltender umgeht und sich ausschließlich daran orientiert, was die Gruppe braucht. Inklusive, dass er oder sie keinen Standardablauf hat, also kein „Training von der Stange“ anbietet. Ich habe als Trainer heute keinen genauen, detaillierten Fahrplan mehr, an dem ich meine Themen abarbeite, sondern ich habe vielleicht einen groben Fahrplan von zehn Dingen, Themen, Übungen, Inputsequenzen, die ich gerne aus der Anforderungsanalyse heraus platzieren möchte. Aber wenn es nur fünf werden, ist es auch in Ordnung und die Reihenfolge ändert sich jedes Mal. Ich bin also mit dieser Haltung und Idee der Rolle als Trainer:in deutlich stärker an der Situation orientiert, an dem, was gerade sinnvoll ist und an dem, was die Teilnehmenden explizit nachfragen.

Ich glaube, es geht heute viel mehr darum, die Expertise zwar zu haben und sie aber in Trainings möglichst viel auf Augenhöhe gemeinsam in der Gruppe zu erarbeiten. Es steht aus meiner Sicht nicht mehr so im Vordergrund, dass Trainer:innen Expert:innen sind für eine Sache oder ein Thema, sondern für den Prozess, die Kommunikation, Austauschprozesse und das gemeinsame Lernen. Sie müssen Raum schaffen und halten für Kontakt und Resonanz.

Ein anderer Punkt, der sich verändert hat, ist, wie Trainings heute in Gesamtprozesse der Entwicklung einer Organisationen eingebettet werden.

Was meinst du damit?

Ich glaube, da sind zwei Formen der Einbettung zu betrachten: Zum einen wird Training immer stärker in ein Vorher, ein Nachher eingebettet, in weitere Qualifikationsmaßnahmen, eingeflochten in interne Führungsmaßnahmen, in die interne Personalentwicklung und Veränderungsprozesse.

Zum zweiten denke ich, müssen wir mehr mit dem Blended Learning Ansatz lernen und arbeiten. Das bedeutet, dass Präsenz-Trainings, bei denen die Personen entweder gemeinsam vor Ort sind oder online zusammenarbeiten und lernen, stärker eingebettet sind in andere Lernformate. Die Präsenztrainings bilden dann den Kern dieser Lernreise. Drum herum gibt es dann verschiedene Formen der Ausgestaltung: zum Beispiel gibt es Vorbereitungstermine oder Material, kleine Informationen oder Impulse vorab, die dann dazu führen, dass die Personen gedanklich und inhaltlich vorbereitet zum Präsenztraining gehen. Parallel gibt es vielleicht Austauschrunden, Peergroups, Werkstätten, wo sich die Personen zusätzlich treffen zu zweit, zu dritt, in kleinen oder größeren Gruppen. Dann gibt es vielleicht weitere Präsenztermine vor Ort oder online, bei denen es darum geht, in der Interaktion zu arbeiten und zu lernen, um das dann zum Beispiel in Follow-Up-Terminen zu reflektieren.

Sich über diese Formen der Einbettung und wechselseitigen Verbindung Gedanken zu machen und sich Konzepte zu überlegen, wie die gesamte Lernreise begleitet werden kann, wird mehr und mehr Aufgabe von Trainer:innen sein.

Das klingt, als wenn die Aufgaben von Trainer:innen heute komplexer sind.

Auf jeden Fall. Der Anspruch an Trainer:innen ist deutlich höher geworden. Das bedeutet, dass es noch viel wichtiger ist, sich als Trainer:in mit einer guten Ausbildung zu qualifizieren. Die sollte sich aber eben nicht darauf beziehen, was man jetzt alles an einzelnen Übungen und Instrumenten nutzen kann, sondern sie sollte aus meiner Sicht stark mit der Trainer:innen-Rolle zutun haben. Denn ich glaube, dass der Anspruch an die persönliche Sicherheit, die Integrität und die Rollenklarheit von Trainer:innen viel höher geworden ist. Insofern ist das also eine Grundhaltung, die Person ist als Trainer:in ganz wichtig. Und nicht, weil sie eine besondere Attraktivität hat, nicht weil sie ein besonderes Charisma hat, nicht weil sie 100 Jahre Erfahrung hat, sondern weil sie als Person für sich glaubhaft, vertrauenswürdig, stabil und nahbar ist. Und ich glaube eine gute Ausbildung versucht, genau daran zu arbeiten und diesen Weg gemeinsam zu gehen.

Und das sind alles Dinge, die man nicht herzaubern kann, sondern die man erleben und erfahren muss. Es geht da viel um Austausch, viel um wechselseitiges Feedback, viel um Erleben in der Teilnehmenden-Rolle, um möglichst viel aus eigener Stabilität und Sicherheit, im Sinne von „Ich weiß, was ich mache und warum es funktioniert“ heraus arbeiten zu können.

Ich glaube, als Trainer:in muss ich wachsen. Das heißt, ich muss nicht nur etwas lernen, sondern ich muss in diese Rolle reinwachsen, in der dann die Rollenklarheit, das Wissen und die Instrumente zusammengeführt werden.

Was verstehst du konkret unter Rollenklarheit?

Zum Beispiel lernen die Teilnehmenden unserer Trainer:innen-Ausbildung eine bestimmte Methode kennen wie z.B. Rollenspiele, das heißt sie erleben, was dort in der Situation passiert, sie sind Handelnde und beobachtende, lernen am Modell, sie erlernen und erfahren Wissen und Hintergründe dazu, warum etwas so oder so funktioniert, welche Modelle oder Untersuchungen dahinter stehen. Und dann geht es noch darum, das im Kontext zu ihrer eigenen Person zu sehen. Die Teilnehmenden finden für sich heraus, passt die Methode zu meiner Idee meiner Rolle als Trainer:in, kann ich mir vorstellen als Trainer:in die Methode des Rollenspiels und in welcher Ausprägung anzuwenden, gibt es vielleicht auch Themen, die nicht so zu mir passen – das wären alles Dinge, die mit der Rollenklarheit zu tun haben.

Das ist glaube ich etwas, was die Ausbildung bei uns auszeichnet, dass es eben um das persönliche Wachsen geht, das Hineinwachsen in die Rolle, das persönliche Erlernen und Anerkennen von Dingen, die zu mir und der Rolle passen oder auch nicht.

Es geht überhaupt nicht um das Nachmachen von Modellen, Rollenvorbildern oder Ähnlichem. Das persönliche Auseinandersetzen und Wachsen mit dieser Rolle ist der Kern. Erst auf dieser Basis bekommen dann die Inhalte und Instrumente, die wir natürlich auch lernen, ihre Wirksamkeit.

Nun gibt es Training als Beratungsformat bereits seit mehreren Jahrzehnten. Du sagst, es hat sich entwickelt und verändert. Welche Relevanz haben Trainings aus deiner Sicht heute und zukünftig?

Ja, es gibt heute die Diskussion, ob Training nicht längst aus der Zeit gefallen ist und ob Personen nicht sowieso besser anders lernen, mit anderen Medien. Es gibt Untersuchungen, nach denen die meisten Menschen im Arbeitskontext nicht mehr auf Vorrat lernen, sondern für die aktuelle Aufgabe, die sie haben, eine Information, ein Lerninput, eine Bearbeitung brauchen. Das führt natürlich dazu, in kleineren Happen, in kleineren Lerneinheiten zu denken. Das kann ein kurzes Video sein oder ein Text zu einem bestimmten Inhalt. Ich glaube, dass diese schnell verfügbaren kurzen Lerneinheiten vor allem gut geeignet sind für inhaltliche Dinge.

Die größeren Fragen im Arbeitsleben: wie gehe ich als Person mit meinem Arbeitsprozess um? Wie gehe ich mit Konflikten um? Wie gehen wir im kollegialen Miteinander um? Wie funktioniert unser Team? Was sind meine Rollen im Team? Was sind im selbst organisierten Team meine Führungsanteile? Wie gehe ich mit größerer Verantwortung um? Wie gehe ich damit um, dass es weniger Sicherheiten im Rahmen der mich umgebenden Welt gibt? Diese Fragen und Themen werden wir nicht mit kurzen Lerneinheiten allein bearbeiten können. Ich denke, dass es immer wichtiger wird, Trainings anzubieten, wo es darum geht, Personen mit ihren bestimmten Themen und Rollen in ihrem Arbeitsalltag zu begleiten. Und dabei wird es viel mehr um Haltungen, Einstellungen, das Erleben von Unterschieden und Gemeinsamkeiten, und das Miteinander gehen.

Jetzt wird die Welt des Lernens nochmal größer, inklusive, dass es kaum noch Leute gibt, die über ihre Lebensarbeitszeit in ein und demselben Job sind, sondern sie werden verschiedene Tätigkeiten ausüben, sie werden Dinge umlernen. So gesehen denke ich, dass Training in einer modernen, komplexeren und anspruchsvolleren Form gerade eine neue Blüte erleben wird – und weg vom Standard, hin zum Spezifischen, Angepassten, Maßgeschneiderten. Ich glaube das ist deutlich anspruchsvoller und gleichzeitig viel wirksamer und unbedingt nötig, damit Personen in der Arbeitswelt von heute wirksam sein zu können. Ähnliches gilt auch für das private Umfeld.

Ich glaube, Training wird sich – eingebettet in andere Lernformate (Blended Learning) – auf seine eigenen Qualitäten konzentrieren können: Interaktion, Austausch, Kontakt, wechselseitige Resonanz, konkretes Ausprobieren, intensives Feedback, moderierte Reflexion von Trainingsinhalten, das Lernen am Modell und das Lernen in der Gruppe. Die Aufgabe von Trainer:innen ist es mehr und mehr, diese Dinge zu gestalten und den gesamten Prozess der Lernreise gut zu begleiten.

Das Interview führte Annika Manthey.

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