Diversity als Chance zur Reflexion nutzen – Anregungen für einen Perspektivwechsel in Organisationen

Diversity ist in aller Munde und es scheint, dass die Popularität noch steigen wird. Wurde der Diversity-Ansatz Ende der 80er Jahre in Deutschland noch als ineffiziente Modeerscheinung belächelt, hat er inzwischen mancherorts den Ruf eines Allheilmittels gegen Herausforderungen der Globalisierung und des demographischen Wandels. Diversity ist Programm. Entsprechend setzen sich heute viele Organisationen in der Politik, Verwaltung, Zivilgesellschaft und Wirtschaft eine diverse Belegschaft zum Ziel. Dabei gehen Organisationen unterschiedlich mit Diversität um. Die führenden Wissenschaftler in diesem Feld David A. Thomas und Robin J. Ely unterscheiden drei organisationale Perspektiven auf Diversity, diese sind aus unserer Sicht entscheidend für einen nachhaltigen Erfolg des Diversity Managements im Rahmen der Organisationsentwicklung.

1. „Wir sind alle gleich.“ Diskriminierungs- und Fairness-Perspektive)

Organisationen fördern Diversity mit dieser Perspektive in erster Linie, um die gesetzlich geforderte Gleichbehandlung und Chancengleichheit zu sichern und Diskriminierung entgegenzuwirken. So sollen z.B. Quoten den Zugang zu Ressourcen und Aufstieg für ausgeschlossene/benachteiligte Gruppen ermöglichen. Alle Organisationsmitglieder erhalten ungeachtet existierender Unterschiede dieselben Chancen. Wer gut genug ist, wer sich genügend anstrengt, kann demnach alles erreichen. Eine alleinerziehende Mutter hat dieselbe Chance wie ein Junggeselle, ähnlich dem amerikanischen Traum. Die Kehrseite dieses Umgangs mit Diversity ist die drohende Blindheit gegenüber unterschiedlichen Voraussetzungen der Belegschaft. Eine alleinerziehende Mutter könnte andere organisationale Strukturen brauchen um dieselbe Leistung zu zeigen wie ein Junggeselle. Um es an Orwell anzulehnen: Alle Menschen sind gleich, aber manche sind eben doch gleicher.

2. „Einige sind unterschiedlich.“ (Zugangs- und Legitimationsperspektive)

Diversity wird hierbei genutzt um etwa Kundengruppen gezielter anzusprechen oder neue Märkte zu erschließen. Dagegen spricht zunächst nichts. Doch auch dieser Umgang mit Diversity birgt Risiken, zu denen Stereotypisierungen und Nischendenken gehören. So werden Journalistinnen/Journalisten mit Einwanderungsgeschichte oft dem Ressort Migration und Integration zugeordnet. Mit Einwanderungsgeschichte ist man im Thema schließlich besser bewandert als die Kolleginnen und Kollegen ohne diesen Hintergrund, so wird es zumindest angenommen. Vielleicht ist der Journalist mit Einwanderungsgeschichte aber ein talentierter Sportanalyst? Reduziert man Personen auf wenige Aspekte ihrer Identität, wird der ganzheitliche Blick auf die Kompetenzen der Betroffen versperrt. Diversity stellt bei dieser Perspektive keine Bereicherung nach innen, sondern höchstens nach außen dar.

3. „Wir sind alle unterschiedlich.“ (Integrations- und Entwicklungsperspektive)

Diese Perspektive vereint Teile der ersten und zweiten Umgangsweise mit Diversity, geht jedoch darüber hinaus. Sie gewährt Zugangschancen, ohne Unterschiede zu negieren. Die Diversität und Ähnlichkeit aller Organisationsmitglieder wird anerkannt. Entsprechend gibt es kein dominantes „Wir“, dem sich alle unterzuordnen und anzupassen haben. Es wird auch keine überbetonte Gegensätzlichkeit zwischen „den Anderen“ und „Uns“ konstruiert. Die Diversität und damit einhergehende Herausforderungen werden eher als Chance des gemeinsamen Lernens betrachtet.

Diversity – eine Lern- und Reflexionsmöglichkeit für Organisationen

Die dritte Perspektive auf Diversity schafft am ehesten Räume, in denen Selbstverständlichkeiten und etablierte Denk- und Handlungsmuster in Frage gestellt werden, sodass die Organisation sich selbstreflexiv weiterentwickeln kann. Insbesondere in der freien Wirtschaft geht es darum, die Handlungsfähigkeit von Organisationen zu stärken. Dazu gehört auch, dass Organisationen die Komplexität der Umwelt im Inneren wider spiegeln, um angemessen auf Herausforderungen von außen zu reagieren.

Was kann zum Beispiel passieren, wenn Organisationen die Diversität zu Selbstreflexion nutzen? So können grundlegende Fragen der Identität bzw. Zugehörigkeit aufgeworfen werden: Wer ist das „Wir“? Wer gehört dazu und weshalb? Wie hat sich das „Wir“ bislang zur Umwelt und somit auch zu „den Anderen“ abgegrenzt? Ethnologisch betrachtet vergewissern wir uns unserer selbst, indem wir das vermeintlich Andere definieren und uns davon abgrenzen. Diese Konstruktion ist wichtig für das Zugehörigkeitsgefühl innerhalb von Systemen. Sie ist jedoch nicht immer funktional und braucht bei komplexen Umwelten eine Erweiterung.

Hierfür können sich Organisationen, die allesamt soziale System sind, die Frage stellen, wie sie bislang mit wahrgenommenen Unterschieden umgegangen sind. Jede Organisation bezieht Personen nach bestimmten Kriterien unterschiedlich stark ein. Systemisch betrachtet sind die verschiedenen Diversity-Dimensionen wie Gender, Alter, ethnischer Hintergrund oder sexuelle Orientierung Adressabilitätsfaktoren. Wenn in einer Organisation bis dato u.a. „männlich“, „mittleres Alter“ und „zeitlich flexibel“ starke Adressabilitätsfaktoren waren, wird diese Zielgruppe auch mit höherer Wahrscheinlichkeit besonders erfolgreich. Im Rahmen des Diversity Managements werden neue Personengruppen inkludiert. Dies bietet der Organisation die Möglichkeit zu reflektieren, für welche Faktoren sie bislang besonders adressierbar war. So kann sie sich dann auch bewusst entscheiden, „männlich“, „mittleres Alter, „zeitlich flexibel“ um „weiblich“, „fortgeschrittenes Alter“, „homosexuell“ zu erweitern. Aber Achtung: Es geht hierbei nicht um eine Ersetzung, sondern um die Ergänzung der bisherigen Adressabilitätsfaktoren. Nur noch Frauen oder Homosexuelle einzustellen, würde ein unflexibles Denkschema durch ein vergleichbar starres ersetzen.

Grundlegende Fragen führen selbstverständlich auch zu Irritationen. Der Moment der Irritation wiederum bietet die Chance des Perspektivenwechsels, der Bereicherung. Indem Diversity sinnvoll „gemanagt“ wird, kann die Organisation samt Beteiligten dazu lernen. Doch die Förderung von Reflexion und nachhaltiger Veränderung braucht einen Prozess, der die Organisation als Ganzes im Blick hat. Entsprechend sind punktuelle Maßnahmen, wie die gängigen Sensibilisierungsworkshops oder interkulturelle Trainings, ohne eine intensive Auseinandersetzung mit der Organisationskultur in Bezug auf Nachhaltigkeit kritisch zu betrachten. Ob in der Wirtschaft, Politik, Verwaltung oder Zivilgesellschaft: Diversity aus der Reflexions- und Weiterentwicklungsperspektive birgt ein vielversprechendes Potenzial.

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