Demut, Flexibilität, und Lust an der Entwicklung

Zukunft in öffentlicher Hand

Ein Praxis-Gespräch zu Veränderungsbarrieren und -chancen in Organisationen der öffentlichen Hand mit Volker Heller, Vorstand und Generaldirektor der Stiftung Zentral- und Landesbibliothek Berlin.

artop: Herr Heller, Sie arbeiten seit Jahrzehnten in Institutionen der öffentlichen Verwaltung oder Ausgründungen der öffentlichen Hand. Gerade erleben wir, wie Deutschland zunehmend angestrengt durch die Pandemie ruckelt, gleichzeitig hat CDU-Fraktionsvorsitzender Ralph Brinkhaus eine Jahrhundertreform, gar eine Revolution in der Verwaltung gefordert. Mich interessiert, wie sich ein solcher Reformbedarf in den Organisationen der öffentlichen Hand abbildet. Was sind die größten Bremsen, denen Sie begegnen?

Heller: Diese Debatte um eine Reform der öffentlichen Verwaltung begleitet mich seit langer Zeit. Nach meiner Einschätzung erleben wir in den Organisationen eine Kombination aus strukturellen und kulturellen Blockaden, die die Verantwortlichen und Mitarbeitenden in multidimensionale Zwickmühlen führt.

artop: Welche Blockaden sehen Sie am Werk?

Heller: Zu den strukturellen Blockaden zähle ich das hohe Maß an Regulierung sowie eine schwer zu durchschauende Streuung von Verantwortlichkeit im föderalen Zusammenwirken, das den Alltag in der Organisation oft erheblich einschnürt. Regulierungen auf EU-Ebene, nationaler Ebene, Länderebene und kommunaler Ebene spannen einen engen Rahmen, der z.B. beim Vergaberecht im Alltag eine große Herausforderung bedeutet.

artop: Und die kulturellen Blockaden?

Heller: Deutschland hat eine lange Tradition der korporatistischen Aushandlung zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmer-Interessen. Mit allen Vorteilen des Systems frage ich mich dabei manchmal, ob wir nicht auch lernen müssten, Stakeholder-Konflikte auszutragen, um Lösungen zu entwickeln, die uns stärker voranbringen. Dabei könnte es uns auch helfen, uns stärker von guten Beispielen unserer Nachbarn inspirieren zu lassen.

artop: Was würden Sie noch als kulturelle Blockade verstehen?

Heller: Wir könnten alle gemeinsam an einer anderen Fehlerkultur arbeiten, nach der gerade viele rufen. Denn wie kann eine Fehlerkultur entstehen, wenn Fehler im medialen Raum so massiv abgestraft werden wie wir das aktuell häufig erleben?

artop: Was könnten denn Wege aus diesen Blockaden sein?

Heller: Ich habe einige Zeit meines Berufslebens in Ausgründungen der öffentlichen Hand -  wie z.B. auch aktuell in einer Stiftung ö.R. - gearbeitet. Eine formelle Privatisierung, die klug gemacht ist,  bietet viele Chancen, schneller und flexibler zu werden. Leider ist das politisch kaum noch durchsetzbar, da solche Ausgründungen durch materielle Privatisierungen (wie z.B. der Deutschen Bahn) und deren Folgen einer an Gewinnmaximierung orientierten Geschäftspolitik desavouriert wurden.

artop: Herr Heller, was motiviert Sie, im öffentlichen Sektor Führungsaufgaben zu übernehmen?

Heller: Ich arbeite jetzt gerade in der Zentral- und Landesbibliothek Berlin an einem sehr spannenden Ort. Öffentliche Bibliotheken sind aufgrund von Medientechnologien und gesellschaftlicher Entwicklungen in einem enormen Umbruch. Das ist eine Riesen-Chance, mit dieser Infrastruktur nochmal andere wichtige gesellschaftliche Tätigkeits- oder Geschäftsfelder anzugehen. Die Bibliothek als Ort der demokratischen Begegnung strategisch zu entwickeln, kann ein Beitrag dazu sein, unsere Gesellschaft ein bisschen schöner und besser zu machen. Daran mitzuwirken begeistert mich. Ich bin auch immer noch der Meinung, dass man im öffentlichen Sektor sehr viel bewegen und verändern kann.

artop: Wie funktioniert diese Veränderung? Was könnte man denn den reforminteressierten Politikern aus der Praxis der Organisationen zurufen?

Heller: Vielleicht so: lieber Staat, habe den Mut, Aufgaben in dezentrale Organisationen zu geben, befreie sie von zuviel Regulierung, sorge dafür, dass sie staatlich gesteuert sind, um wirklich Gemeinwesen-Aufgabe zu erfüllen, und suche dafür Manager und Mitarbeitende aus, die nicht nur Lust auf Veränderung haben, sondern auch ambitioniert und demütig zugleich sind angesichts ihrer Aufgabe und angesichts ihrer Funktion für das Gemeinwesen. Auf der Ebene der Organisationen, gerade in der Führung, braucht es vielleicht drei Haltungen: Demut, denn Kulturveränderungen brauchen Zeit; Flexibilität; und wirkliche Lust an der Entwicklung, Lust daran, anzupacken.

artop: Vielen Dank für das Gespräch und alles Gute für die ZLB!

Volker Heller, ZLB BerlinVolker Heller studierte Musik, Politologie und Kulturmanagement. Nach einem Berufsstart als Musiker, Komponist und Ensembleleiter führte ihn seine berufliche Laufbahn unter anderem in eine Unternehmensberatung und in Führungsfunktionen in den Kulturbetrieben Frankfurt (Oder) sowie der Kulturmanagement Bremen GmbH. Von 2005 bis 2012 war er Leiter der Kulturabteilung des Berliner Senats, ehe er in die Zentral-und Landesbibliothek wechselte.

Das Gespräch führte Katja Schneider-von Deimling. Sie ist Organisationsberaterin und Mediatorin. Vor ihrer Ausbildung zur Organisationsberaterin hat sie viele Jahre in verschiedenen Funktionen im öffentlichen Sektor gearbeitet. Heute begleitet sie Organisationen, Teams und Einzelpersonen bei Entwicklung und Veränderung, vorrangig in Institutionen des öffentlichen Bereich.

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