Willkommen im Dschungel der Organisation: Entscheide doch endlich – oder doch nicht, oder anders?

Entscheiden ist das, was von Führenden gefordert wird und sich diese selbst auf die Fahnen schreiben. Insofern ist es kein Wunder, dass sich Führungskräfte und Berater:innen mit dem „Entscheiden“ beschäftigen. Macht es einen Unterschied fürs Entscheiden, wie wir „Entscheiden“ begreifen? Welche Handlungsoptionen bietet eine systemische Sicht Führenden an?
Wir nähern uns dem Thema zunächst mit einigen grundlegenden theoretischen Überlegungen. Mein Ziel ist es, einige relevante Aspekte für Führende und Berater:innen im Umgehen mit organisationalen Entscheidungsprozessen herauszuschälen. Darauf aufbauend gebe ich sechs Anstöße für gutes Entscheiden, um mit Ungewissheit und organisationalen Phänomenen besser umzugehen. Wen die Theorie nicht interessiert, der kann auch hier weiterlesen.
Warum überhaupt entscheiden? Und wie tun wir das?
Zunächst kann man festhalten, dass die Notwendigkeit, Entscheidungen zu treffen, sich aus der Ungewissheit ergibt, die mit Zukunft grundsätzlich verbunden ist, und aus der Tatsache, dass nicht alle erforderlichen relevanten Informationen zur Verfügung stehen (Tannenbaum, 1950). So weit so konform mit der klassischen Management-Lehre.
Klassische Entscheidungstheorien und die immer noch weit verbreitete Erwartungsnutzentheorie gehen davon aus, dass eine Entscheidung eine rationale Auswahl unter Alternativen ist. Nach dieser Logik können wir umso besser auswählen bzw. den erwarteten Nutzen maximieren, je mehr und bessere Informationen wir haben und beim Entscheiden rationalen Entscheidungsfunktionen oder -regeln folgen. Diese Vorstellung vom Entscheiden wird immer noch an Universitäten und Wirtschaftshochschulen gelehrt. Sie ist auch die Daseinsberechtigung, insbesondere für Strategieberater und ihre Analysen (z.B. Markt-, Trends-, Kunden- und Wettbewerbsanalysen), Best-Practice-Studien und teuren Beratungsprozesse. Es scheint, als würde man nur genug Informationen zusammentragen können und dann wüsste man, was die beste Entscheidung ist.
Beispielbeschreibung: Eine Führungskraft eines Automobilunternehmens entscheidet sich für eine Produktionsverlagerung nach Asien, nachdem eine vollständige Kosten-Nutzen-Analyse gezeigt hat, dass dies die profitabelste Lösung ist.
Allerdings wurde die Vorstellung, dass wir rational auswählen, immer wieder kritisiert. Herbert A. Simon entwickelte bereits in den 50er Jahren das Konzept der begrenzten Rationalität, welches besagt, dass Entscheidungsträger aufgrund von Informationsmangel, Zeitdruck und kognitiven Einschränkungen oft nur eine "zufriedenstellende" statt einer optimalen Entscheidung treffen.
Beispielbeschreibung: Ein Manager eines Start-ups wählt eine Softwarelösung, die nicht optimal ist, aber aufgrund begrenzter Recherchezeit und verfügbarer Informationen als "gut genug" angesehen wird.
Daniel Kahneman und Amos Tversky (1979) entwickelten die Prospect Theory, die zeigt, dass Menschen bei Entscheidungen systematische Verzerrungen (Biases) aufweisen und Verluste stärker gewichten als Gewinne.
Beispielbeschreibung: Ein CEO einer Modefirma zögert, eine unrentable Produktlinie einzustellen, weil der Verlust der bisherigen Investitionen als schwerwiegender empfunden wird als der potenzielle Gewinn durch eine Neuausrichtung.
Organisationale Führende, denen ja als Hauptaufgabe Entscheidungen zugerechnet werden, müssen mit der gnadenlosen Realität umgehen, dass die Zukunft ungewiss bleibt und nur eine begrenzte Auswahl von Wissen und Informationen für Entscheidungen zur Verfügung stehen kann. Tatsächlich betrachten wir als eine Entscheidung nur, wenn damit eine gewisse Willkür einhergeht und das Ergebnis nicht durch vorherige Entwicklungen oder Errechnen können bereits determiniert ist. Das führt psychisch zu Verunsicherung. Worauf kann ich mich stützen, wenn nicht Daten und Fakten?
Aber leben wir nicht derzeit in der „Informationsgesellschaft?“ Sollten wir nicht Entscheidungen zumindest besser als früher „ausrechnen“ können? Stehen nicht viel mehr und detailliertere Informationen zur Verfügung?
Für die Beantwortung können wir uns zunächst fragen, wie etwas überhaupt zu „Information“ wird. Im Gegensatz zu anderen Theoretikern vertritt Niklas Luhmann (1996, 2000, 2019) eine soziologische Perspektive auf Entscheidungsprozesse. Information ist bei näherer Betrachtung kein Ding, sondern ein Ereignis. Sie kann als „Differenz zwischen dem, was der Fall sein könnte, und dem, was sich ereignet oder mitgeteilt wird“ (Luhmann, 1996) verstanden werden. Information entsteht durch Überraschung, wenn etwas Aufmerksamkeit auf sich zieht. Dabei hat das Verweisen auf Veränderungen eine ungleich stärkere Wirkung als das Berichten des stetig Gleichen. Die dabei immer notwendigerweise getroffene Auswahl schafft paradoxerweise Sicherheit und Unsicherheit zugleich, da sie Stabilisierung durch die getroffene Auswahl und Verunsicherung durch das Nicht-Gewählte aber doch potenziell Mögliche kommuniziert.
Wenn wir das Verhältnis von Information und Entscheidung konsequent mit Luhmann zu Ende denken, dreht sich unser Weltbild und unser Verständnis um: Der Eindruck einer „Informationsgesellschaft“ ist eigentlich ein hoher Informationsbedarf, der aus der Vielzahl der Entscheidungen entsteht, die Organisationen und eine komplexe differenzierte Gesellschaft konstituieren. Informationen dienen in einer modernen Gesellschaft dazu, über verschiedene gesellschaftliche Funktionssysteme hinweg zu kommunizieren: Eine Kommunikation über einen starken Rückgang der Beschäftigungsquote in den letzten 5 Jahren kann zum Anlass für Entscheidungen im politischen, wirtschaftlichen und Bildungssystem sowie der beteiligten Organisationen werden.
Entscheiden auf die Füße gestellt: Entscheidungen sind Organisationen
In Niklas Luhmanns (2000, 2019) systemtheoretischen Ansatz sind organisationale Entscheidungen nicht das Ergebnis dessen, was Menschen denken, sondern Entscheidungen konstituieren Organisationen. Entscheidungen sind nicht bloß Mittel zur Problemlösung, sondern der zentrale Mechanismus, durch den Organisationen existieren und fortlaufend neue Unsicherheiten erzeugen. Organisationen bestehen aus einer Kette von Entscheidungen, wobei jede Entscheidung neue Unsicherheiten erzeugt und weitere Entscheidungen nach sich zieht. Entscheidungen sind Einschränkungen der potenziellen Zukunft und können zu Prämissen werden für nachfolgende Entscheidungen. Organisationen produzieren so Sinn. Es geht um Sensemaking – im Sinne der Einschränkung möglicher Zukünfte.
Entscheidungen sind Teil der Autopoiesis von Organisationen – Kommunikation über Entscheidungen ist das, was Organisation ausmacht. Das bedeutet auch, dass Organisationen eben nicht aus Personen bestehen. Diese Unterscheidung ist bedeutsam, da häufig psychologische Theorien des Entscheidens auf Organisationen angewendet werden. Wir tun irrtümlicherweise so, als wäre das, was Organisationen tun, dasselbe, was Psychen tun.
Wenn wir organisationale Entscheidungsprozesse beobachten, stellen wir fest:
- Informationen über Sachen werden Anlass und Anstoß für Entscheidungen. Kommunikation über Veränderungen zieht mehr Aufmerksamkeit auf sich als Gleichbleibendes. Welche Informationen werden relevant? Wie werden relevante Umwelten in der Organisation wieder „eingeführt“?
- Entscheidungen werden sozial Entscheidern aka Führungskräften zugerechnet werden. Diese Rückführung von Entscheidungen auf Personen ist eine Inszenierung, da die Personen nicht die Organisation ausmachen. Es sind eben nicht Personen, die „entscheiden“ sondern Menschen bringen ihre Motivationen vermittelt über ihre organisationalen Rollen in organisationale Entscheidungen ein. Wir neigen dazu, organisationale Entscheidungen auf Personen zu attribuieren, weil dies eine im Alltag gut geübte und zulässige Abkürzung ist. Darüber hinaus erhält diese Zurechnung von Entscheidungen zu Personen und deren Rollen, die herausgebildete Organisationsordnung und Hierarchie aufrecht, so dass sich nicht alle Organisationsmitglieder zeitgleich mit allen Fragen beschäftigen müssen.
- Wir konstruieren eine Zeit in die Zeit: Zwar bleibt die Zukunft ungewiss und die Vergangenheit unveränderbar, aber Vergangenheit wird so gedeutet, dass Optionen offenbleiben, und mögliche Unterscheidungen werden in die Zukunft projiziert. Wenn man sich dies auf der Zunge zergehen lässt, kann man die Magie von Entscheidung begreifen. Ein Raum der Gestaltung zwischen unveränderbarer Vergangenheit und ungewisser noch nicht eingetretener Zukunft tut sich auf.
Und jetzt? Ich muss entscheiden. Was mache ich damit?
Was heißt dies alles für den Umgang mit organisationalen Entscheidungsprozessen? Auf Basis der obigen Überlegungen und meiner Führungspraxis als ehemaliger Manager und als Berater für Führende möchte ich im Folgenden sechs Anstöße zur Verfügung stellen. Ausgewählt habe ich diese, weil ich glaube, dass sie besonders relevant für Führungskräfte bei der Beobachtung von und Intervention in organisationalen Entscheidungsprozessen sind. Auf Gruppenphänomene z.B. in Entscheiderkreisen oder Teams und viele Interaktionsfragen gehe ich bewusst kaum ein.
- Entspannen und Kontrolle aufgeben bringt besseres Entscheiden – Es gibt nicht die eine richtige oder auch nur eine ganz besonders gute Alternative.
Da ich nie wissen kann, was tatsächlich in eine erfolgreiche Zukunft für die Organisation führt, hängt das Überleben der Organisation auch nicht von meiner individuellen Entscheidung oder Expertise ab. Wer das immer noch nicht glaubt, sollte jetzt versuchen, die nächste Covid-Pandemie oder die nächste technische Revolution entsprechend dem Siegeszug des Internets vorherzusagen. Darüber hinaus ist persönliche Einflussnahme in Organisationen immer begrenzt, da Systeme auf ihre eigene Logik reagieren, nicht primär auf Führungspersönlichkeiten.
Das bewusste Loslassen hilft – insbesondere (ehemaligen) Experten – dabei, dass sie sich nicht in Details oder in Ohnmachtsgefühlen verlieren. Wenn ich meinen Selbstwert nicht mit bestimmten Entscheidungsalternativen verknüpfe, kann ich zum Attraktor für Entscheidungsfindung werden. Paradoxerweise werde ich mit einer entspannten Haltung des Non-Attachments, die Beteiligten Sicherheit und Verständnis in ihrer eigenen Bedrängnis vermittelt, erst recht zu Entscheidungen eingeladen.
Wie gewinne ich Sicherheit in der real vorhandenen Unsicherheit? Was sind meine Stärken und meine Kraftquellen für das Handeln in Ungewissheit? Was brauche ich, um mögliche Konstruktionen der einen richtigen Lösung loslassen zu können?
- Autopilot abschalten – Wer gut entscheiden will, muss sich selbst entscheiden können.
Wir sind als Psychen, die an Organisation teilnehmen, geprägt durch unsere Erfahrungen und bilden so meist persönliche und unbewusste Entscheidungsmuster aus. Ich meine hier nicht nur die grundlegenden Sozialerfahrungen im Kindergartenalter. Schein (2017) hat wunderbar beschrieben, wie unterschiedlich Organisation erfahren wird. Wer in der Linie „groß geworden“ ist, der ist Führung als kommunikativen Kontaktsport zwischen Menschen gewohnt. Er ist geneigt, Entscheidungen an Personen zu orientieren. Wer in Technik-, Technologie- oder Supportfunktionen seine Führungserfahrung gesammelt hat, begreift die ideale Welt als Ansammlung eleganter Maschinen und Prozesse. Seine Entscheidungen sind an Logik, Daten, Wissenschaft, Best Practices und Technologie orientiert. Wer Teil des exekutiven Managements ist und an Shareholder oder Eigentümer berichtet (oder in strategischen Stabsstellen oder Managementberatungsfirmen arbeitet), wird seinen Fokus auf (finanzielle) Kennzahlen richten. Er verlässt sich in Entscheidungen allerdings meist auf eigenes Erfahrungswissen, da alle anderen Organisationsmitglieder persönliche und organisatorische Teilinteressen vertreten und angeführte Daten dementsprechend verfälschen.
Unseren Autopiloten abschalten können wir erst, wenn wir ihm gewahr werden. Wenn ich wahrnehme, wie ich entscheide, kann ich entscheiden, ob es im konkreten Entscheidungsprozess nicht anders sinnvoller ist.
Wie begreife ich gutes Entscheiden – im Vergleich zu den Mustern in meiner Organisation? Wo habe ich das gelernt? Was hat das für Konsequenzen für mein Handeln? Wo sind meine blinden Flecken, meine Trigger?
- Beobachtung beobachten und zielbewusst intervenieren – Wer gut entscheiden will, sollte wissen, wie seine Organisation tickt.
Führung ist eine Funktion, die jede Organisation ausbildet, um sich selbst zu beobachten. Wer professionell führen (oder Führende beraten) will, sollte nicht einfach irgendwie agieren, sondern verstehen, welche organisationalen Muster bestehen und wann ich wie mit welchem Ziel irritieren will, indem ich Muster in die Beobachtung bringe, z.B. durch eigenes Anders-Agieren.
Entscheiden findet fortlaufend in Organisationen statt und wir könnten überhaupt nicht alle Entscheidungen nachvollziehen und beschreiben. Manche Entscheidungen allerdings werden besonders inszeniert. Dies kann auf verschiedene Art und Weise passieren. Immer geht es darum, wie die Unsicherheit, die mit der Ungewissheit von Zukunft einhergeht, „absorbiert“ wird und warum die Entscheidung für andere Entscheidungen als Referenz oder gar als Prämisse dienen sollte.
Als ein Beispiel für mögliche Inszenierungen möchte ich die Unterscheidungen von Nagel und Wimmer (2014) anführen. Diese wurden als Spielarten strategischer Entscheidungen konzipiert, aber sie sind als Landkarte für die Beobachtung von Entscheidungen allgemein anregend.
- Intuitiv: Entscheidungen werden von einer oder wenigen Schlüsselpersonen gleichsam „aus dem Bauch heraus“ getroffen. In Pionierunternehmen und Familienbetrieben ist diese Spielart sehr weit verbreitet. Der bisherige Erfolg gepaart mit intimer Kenntnis von Markt und Organisation wirken als Garanten für gute Entscheidungen.
- Expertenorientiert: Ausgefeilte Papiere und Entscheidungsalternativen werden von Stäben und Experten vorbereitet. Diese werden Entscheidern zur Auswahl vorgelegt. Es wird auf Daten und Rationalitätsversprechen rekurriert.
- Evolutionär: Entscheidungen entstehen mehr oder weniger zufällig in einem freien Spiel der Kräfte auf verschiedenen Ebenen einer Organisation. Es ist das erfolgreich und entscheidungsleitend, was überlebt und sich verbreitet.
- Gemeinschaftliche Führungsleistung: Über verschiedene Ebenen hinweg gibt es einen expliziten interaktionalen Aushandlungsprozess unter Anwesenden. Es wird auf die Gruppe rekurriert, die für die Entscheidung steht. Psychologisch geschulte Berater verdienen hier häufig ihr Geld.
Nach welchen Mustern verlaufen Entscheidungen in „meiner“ Organisation? Wie wird wem klar, dass eine Entscheidung notwendig wird oder dass sie getroffen wurde? Was wird als „relevante Information“ erachtet? Wer wird wie einbezogen? Welches Muster diesmal und wofür?
- Im Zweifel schlägt Interaktion Rationalität – Es ist nicht die rationale Analyse, die eine Entscheidung akzeptabel und konsequenzenreich werden lässt.
Viel Zeit, Energie und Motivation können verschwendet werden, wenn eine Entscheidungsvorlage detailreich und gut begründet mit Daten und Fakten daherkommt aber sie niemand liest. Wir argumentieren häufig aus unserer eigenen Logik und so kommt unsere Argumentation beim Gegenüber schlicht nicht als relevante Information an. Zum Beispiel wollen Technik-, Support- und Expertenfunktionen häufig „standardisieren“, ohne die Perspektiven anderer Entscheider einzubeziehen. Dies stößt operativen als auch exekutiv Führenden auf. Die ersten fürchten zurecht, dass sie nicht mehr flexibel und adäquat auf die real komplexe soziale Realität reagieren können. Die anderen haben Sorge, dass wieder einmal begrenzte organisationale Aufmerksamkeit und potenzieller Profit verschwendet werden.
Wer Entscheidungen voranbringen will, kann sich fragen, welche Entscheidungen in Zukunft auf Basis der aktuellen Entscheidung anders gefällt werden sollen und wer die Entscheider dafür sind. Wissend, dass mögliche Verluste höher gewertet werden (Kahnemann, 2011), können wir mit diesen Personen in den Austausch treten. Häufig sind Führungskräfte versucht, das Top Management dazu zu bewegen, ihnen eine „Vollmacht“ auszustellen, damit sie den Diskurs mit den anderen vermeiden. Top Manager wissen dies und fragen deshalb gern mal nach, ob das schon mit X oder Y besprochen wurde. (Siehe zur Motivation des Top Managements auch Punkte 2 und 6).
Welche Entscheidungen sollen auf Basis dieser Entscheidung in Zukunft anders fallen? Wer sind die Entscheider dafür? Was meinen diese zu verlieren oder zu gewinnen, wenn sie sich anders ausrichten müssten?
- Wer über die Zeit kombiniert, ist im Vorteil – Lieber den Prozess des Entscheidens organisieren, statt lähmende Kompromisse auszuhandeln.
Häufig ist eine Herausforderung beim Entscheiden, dass sich Beteiligte schnell auf Positionen festlegen. Meist sind dies Positionen, die bereits in der Vergangenheit vertreten wurden. Es ist häufig sinnvoll, die Motivationen hinter den Positionen zu verstehen (siehe 4). Einerseits kann nämlich hinter den Positionen relevantes organisationales Wissen stehen, das gut geeignet ist, in die Entscheidung einbezogen zu werden. Andererseits können dahinter auch sehr persönliche Motivationen (z.B. Verlustängste) stehen.
Statt mit Maximalforderungen oder der einen großen Richtungsentscheidung in den Ring zu steigen, ist man erfolgreicher, wenn man es schafft, vermeintlich kleinere Win-Win-Situationen über die Zeit herzustellen. So hat man am Ende viel mehr gewonnen, als sich frustriert abzuarbeiten.
Denn Entscheidungen sind nie endgültig: Jede Entscheidung zieht neue Folgeentscheidungen nach sich. Entscheidungen werden relevant in Organisationen, wenn sich andere Entscheidungen auf sie beziehen. Jede Entscheidung schafft neue Entscheidungsnotwendigkeiten. Unsicherheit ist dabei nicht ein Hindernis, sondern ein konstitutiver Bestandteil organisationaler Entscheidungsprozesse. Diese Unsicherheiten produktiv zu nutzen, statt zu versuchen sie zu eliminieren, ist Führungskunst. Erfolgreiche Führung antizipiert diese Dynamik.
Wir können viel vom sogenannten agilen Management unter diese Überschrift stellen: Wie organisieren wir, dass wir flexibel und in kleinen Schritten entscheiden und voranschreiten.
Bin ich im „Entweder-Oder“ gefangen? Wie kann ich Win-Win-Konstellationen und flexibel über die Zeit in Schritten voranschreiten? Wie nutze ich Unsicherheit und Konflikte produktiv für den (weiteren) Entscheidungsprozess?
- Nicht-Entscheiden ist immer eine machtvolle Option – Wer nicht entscheidet, kann dies durchaus bewusst tun.
Je höher man in der Hierarchie einer Organisation steht, desto häufiger wird man „angerufen“, Entscheidungen zu treffen. Gleichzeitig hat man am wenigsten Wissen über mögliche Konsequenzen. Meist wollen die Anrufenden vor allem ihre eigene Unsicherheit – und Verantwortlichkeit – reduzieren. Tatsächlich schränkt aber jede Entscheidung den Möglichkeitsraum der Organisation für die Zukunft ein, was sich als ungünstig herausstellen kann. Darüber hinaus führt Entscheiden dazu, dass man Hierarchie kreiert und persönlich mit der Entscheidung identifiziert ist. Jede Entscheidung kommuniziert auch das Nicht-Gewählte mit, dies führt häufig zu Konflikten oder gar Machtkämpfen. Insofern wägen Entscheider die Kosten des Jetzt-Noch-Nicht-Entscheidens ab.
Man kann dieses Jetzt-Noch-Nicht-Entscheiden auch in einen Entscheidungsprozess umlenken. Hier kann man sich verschiedener Muster bedienen, von denen einige Richter (2024) zusammengetragen hat: Empowerment, Rahmung mit Risiko, Schwarzer Peter, Untätigkeit, Diffusion und Scheinheiligkeit. Die Muster werden etwas moralisch wertend beschrieben, man kann sie auch neutraler als Muster der Inszenierungen von Hierarchien in Entscheidungsprozessen beschreiben. Es gibt sicherlich noch weitere. Eines, das beispielsweise Donald Trump frei nach Machiavelli häufig angewendet hat: Konkurrierende Signale senden und konkurrierende Alternativen durch Untergebene ausprobieren lassen. Dies maximiert den eigenen Entscheidungsspielraum – auf Kosten der organisationalen Überlebensfähigkeit?
Was kostet es, jetzt noch nicht zu entscheiden? Welcher Entscheidungsprozess macht Sinn?
Wenn wir organisationales Entscheiden systemisch begreifen, entstehen neue und interessante Handlungsoptionen für Führende und Beratende. Es hilft, sich immer mal wieder bewusst zu machen, was wir in die Beobachtung nehmen: Psyche, Interaktion / Gruppe, Organisation oder Gesellschaft.
Zum Schluss vielleicht noch ein kleiner Aufruf. Entscheiden kann viel Freude machen. Du erschaffst damit Zukunft. In Organisationen darfst du als Führungskraft an dieser Zukunftserfindung aktiv mittun. Du gestaltest damit nicht nur deine persönliche Zukunft, sondern auch die Umwelt für alle Organisationsteilnehmer:innen und trägst sogar zur Weltgestaltung bei.
Falls Sie beim Lesen bestärkt oder irritiert wurden oder Fragen aufgetaucht sind, dann kommen Sie zu unserem Infoabend für unser Führungsprogramm „Upgrade Führung – Organisationen besser und entspannter gestalten“ am 18.2.2025. Weitere Informationen zu dem neuen Programm für Führungskräfte finden Sie hier