Ohne Vertrauen geht´s nicht

Führung und Teamarbeit in der virtuellen Welt

Das durch die Corona-Krise hervorgerufene Interesse an ‚virtueller Führung‘ richtet sich auf ein Phänomen, das weniger neu ist, als es zunächst erscheinen mag. Die Corona-Krise hebt vielmehr ins Bewusstsein, wie sehr wir uns bereits seit geraumer Zeit in virtuellen Räumen bewegen. Ohne eine vorhandene digitale Infrastruktur und verbreitete Erfahrungen im Umgang mit digitalen Medien wäre die schlagartige Verlagerung der Arbeitswelt ins Homeoffice und die Zoom-Konferenzen im März dieses Jahres gar nicht möglich gewesen. Die digitale Transformation während der letzten drei Jahrzehnten hat zu veränderten Produktionsprozessen und Arbeitsabläufen geführt und die Rahmenbedingungen von Kommunikation verändert: Sie ermöglicht und erzwingt eine aus der zeit-räumlichen Einheit entlassene, fragmentierte Kommunikation mit Hilfe digitaler Medien.

Was bedeutet dann ‚virtuelle Führung‘ oder „Führen auf Distanz“ konkret für die Arbeit der Führungskräfte? Die Beantwortung dieser Frage schließt direkt an die Diskussion des Digitalen Leadership oder Leadership 4.0 an bzw. ist ein Teil von ihr (Moskaliuk 2019). Sie rückt die Einflussnahme und die „special effects“ digitaler Medien auf die Kommunikation und Kooperation in den Vordergrund und schärft den Blick für das dadurch veränderte interaktive Geschehen und das kommunikative Erleben im Arbeitsprozess. Die gute Botschaft lautet daher: Wir haben alle damit schon viel Erfahrungen; die andere: Wir müssen uns trotzdem damit beschäftigen.

Sounding Board

Bei der „virtuellen Führung“ haben wir eine andere sinnliche Wahrnehmung als im persönlichen Kontakt. Die in der analogen Welt integrierten Wahrnehmungen verschiedener Sinneseindrücke werden in der virtuellen Kommunikation als parallele Signale übermittelt ohne gegenseitige Bezogenheit (Kunert 2020). Die digital vermittelte Kommunikation ist dadurch fragmentiert, ausgedünnt, eingeschränkt, ärmer. Wenn wir telefonieren, sehen wir nicht, ob der Gesprächspartner die Augen verdreht. In der Videokonferenz wissen wir nicht, ob wir „unter uns“ sind oder ob sich noch jemand im Zimmer befindet. Der E-Mail-Text bietet Interpretationsspielräume und reichlich Gelegenheiten für Missverständnisse und atmosphärische Störungen, weil persönliche Sprachgesten sich nicht ohne weiteres in die Schriftform übertragen lassen. Zudem können die technischen Hilfsmittel schnell zu Hindernissen mutieren, wenn das WLAN überlastet oder der Umgang mit dem neuen Tool noch nicht eingespielt ist. In der ausschließlich – oder auch nur vorrangig – digital vermittelten Kommunikation können wir nur eingeschränkt auf unsere Erfahrungen der Situationskontrolle aus der analogen Welt zurückgreifen. Schon auf dieser elementaren Ebene der sinnlichen Situationswahrnehmung besteht immer die Gefahr, dass sich die Beteiligten mit lauter losen Enden freischwebend im virtuellen Raum verlieren. Um diese Verunsicherungen einzugrenzen und das Team zusammenzuführen müssen Resonanzschleifen und vielfältige Formen zur Vergewisserung des wechselseitigen Verstehens bewusst eingerichtet werden. Virtuelle Führung kann daher nicht einfach die Kommunikations- und Ausdrucksformen der analogen Begegnung übernehmen, sondern verlangt nach virtueller Präsenz (Berninger-Schäfer & Berg 2020). In viel stärken Maße muss Kommunikation bewusst geplant, proaktiv und explizit – geradezu demonstrativ deutlich eingesetzt werden (Brandt 2020). Medienkompetenz beinhaltet somit nicht nur den operativen Umgang mit technischen Geräten und Software, sondern auch ein reflektiertes Kommunikationsverhalten im Sinne einer veränderten Semantik und eines anderes Sprachverhaltens. Mich erinnert es fast an die Pantomime, die „Kunst der Stille“, in der die Aussagen nur in Gesten vorgetragen und daher übertrieben dargestellt werden, um die Botschaft zu transportieren.

Ohne Vertrauen geht´s nicht

Unter diesen Bedingungen digitaler Kommunikation ist die zentrale Herausforderung, den Zusammenhalt des Teams herzustellen und die Kooperationsfähigkeit zu sichern. Dazu gehört die Gewährleistung funktionsfähiger technischer Mittel, ein vorausschauendes Projektmanagement sowie klar kommunizierte „Spielregeln“. Die Teammitglieder müssen weitestgehend selbstständig ihre Aufgabe erledigen und auch selbst ihre Eingebundenheit ins Team betreiben. Direktives Führungsverhalten ist unter diesen Umständen kaum möglich und kontraproduktiv (Herrmann et al. 2012). Führung – Koordination und Orientierung auf ein gemeinsames, sinnhaftes Ziel – ist vielmehr selbst in hohem Maße auf eigenmotivierte und selbstorganisierende Kooperation der Mitarbeiter angewiesen, die sich individuellen Zielvereinbarungen verpflichtet fühlen (Albrecht & Albrecht-Gorpert 2012). Ohne Vertrauen wird das nicht möglich sein (Jäckel 2020). Die Entwicklung von vertrauensvollen Beziehungen im Team ist im virtuellen Raum deshalb die wichtigste Führungsaufgabe. Kooperative, partizipative Führung, die die Gruppe moderiert und das Zusammengehörigkeitsgefühl durch einen offenen Informationsaustausch unterstützt und die einzelnen Mitglieder individuell anspricht, wertschätzt und ertüchtigt, liefert dafür eine Grundlage (Scholl 2020).

Die Ansprüche an virtuelle Führung sind hoch: Zum einen erfordert sie die Kenntnis über die Wirkungsweise der digitalen Medien und die Bereitschaft, sich auf eine neue Semantik einzulassen; zum anderen die Fähigkeit zu reflektierter Selbstführung und die Bereitschaft, die soziale Dimension von Führung sich zum Anliegen zu machen und die Mitarbeitenden in den Mittelpunkt zu stellen. Kommunikative Fähigkeiten und Sozialkompetenz werden paradoxerweise zu Schlüsselkompetenzen von Führungshandeln im Umfeld einer hoch entwickelten Technologie.

 


Literatur

Albrecht, Arnd & Albrecht-Gorpert, Evelyn (2012). Vertrauen, Verantwortung, Motivation und Kommunikation. Was Führung in virtuellen Strukturen von klassischer Teamarbeit unterscheidet. In: PersonalFührung 6/2012, 44 – 50.

Berninger-Schäfer, Elke & Berg, Thomas E.  (2020). Führungspräsenz. Virtuelle präsent sein. In: Special Digital Leadership. Beilage zu MangerSeminare 269, August 2020, 12 – 18.

Brandt, Eva (2020). Virtuelle Führung. Die Neurobiologie der Distanz. In: Special Digital Leadership. Beilage zu MangerSeminare 269, August 2020, 4 – 10.

Herrmann, Dorothea & Knut Hüneke & Andrea Rohrberg (2012). Führung auf Distanz. Mit virtuellen Teams zum Erfolg. Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden.

Jäckel, Ariane (2020). Vertrauen und Führung im Kontext digitaler Arbeit. In: Gruppe. Interaktion, Organisation. 2020, 51: 169-176.

Kunert, Sebastian (2020). Grenzen der Online-Kommunikation. Zur Kommunikationspsychologie virtueller Coachings und Meetings. Coaching-Magazin.

Moskaliuk, Johannes (2019). Beratung für gelingendes Leadership 4.0. Praxis-Tools und Hintergrundwissen für Führungskräfte. Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH.

Scholl, Wolfgang (2020). New Team-Work – eine neue Balance von Gruppe und Führung. Organisationsberatung. Supervision. Coaching. 27:139–154.

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  • Rückblick Online-Kolloquium: Führen auf Distanz

    Herzlichen Dank an alle Gäste unseres letzten Online-Kolloquiums, in dem Dr. Beate Fietze und Dr. Sebastian Kunert Anforderungen, Möglichkeiten und Besonderheiten von Führung im virtuellen Raum erläuterten.

     

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