Über agile Gruppendynamik

In seiner Forschungsarbeit untersucht PD Dr. Thomas Bachmann wie psychologische Sicherheit in Gruppen und Teams entsteht, was eine positive Gruppendynamik charakterisiert und wie sich diese fördern lässt.

Agil, holakratisch, New Work. Unsere Arbeitswelt ist durchdrungen von neuen Konzepten und Ideen. Allen gemeinsam sind der Abbau von Hierarchien, die Vereinfachung und Verschlankung von Prozessen und der zunehmende Wegfall von Abteilungsgrenzen. Purpose-Orientierung und Ganzheitlichkeit werden proklamiert.

In der modernen Organisation stehen der Kundennutzen und damit das Produkt oder die Dienstleistung im Fokus. Abteilungen, Strukturen, Abläufe und Zugehörigkeiten verlieren an Bedeutung, ebenso ein traditionelles Verständnis von Führung und Zusammenarbeit. Das Team und seine Fähigkeit zur Selbstorganisation befinden sich im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, allerdings mit dem Anspruch gepflegter Vorläufigkeit. Teams in agilen Organisationen sind gekennzeichnet durch eine temporäre Zusammenstellung, durch wechselnde Aufgaben, Mehrfachzugehörigkeiten, dynamische Umwelten und Anforderungen sowie durch Arbeitsabläufe, auf Basis spezifischer kollaborativer Tools und kollektiver Entscheidungsprozesse.

Geteilte oder gemeinsame Führung, shared leadership, ist das Führungskonzept der agilen Organisationen. Es meint, dass Führung immer dort im Team entsteht, übernommen und erlebt wird, wo es gerade nötig ist. Für eine gegebene Situation oder Aufgabe übernehmen Teammitglieder mit den passenden Kompetenzen und Ideen die anstehende Führungs­aufgabe. Die Führung wechselt, wandert dahin, wo sie gerade gebraucht wird. Führung ist somit als Antwort auf die jeweilige Aufgabe des Teams zu verstehen. Die Vorteile liegen auf der Hand.

Die Innovationskraft, die Kreativität und der Umgang mit Komplexität liegen in der Beweg­lich­keit der sozialen Systeme. Es ist einleuchtend, dass weder eine „feste“ Führungskraft noch eine „feste“ Teamstruktur den zunehmend wechselnden Aufgaben, dynamischen Anforderungen und der temporären Zusammenarbeit auf Dauer gewachsen sein können. Die Intelligenz der Gruppe kommt allerdings nur dann zur Geltung, wenn die Gruppe als lebendiges Gefüge verstanden wird, das in der Lage ist, in „jedem Moment für jede Fragestellung“ eine kompetente Antwort und damit optimale Entscheidungen hervorbringen zu können. Im Kern bedeutet dies, dass agiles Arbeiten auf eine positive Gruppendynamik setzt.

Aus der Forschung über Gruppen und aus der alltäglichen Beobachtung wissen wir, dass sich in einer Gruppe schnell eine informelle Struktur herausbildet. Dies gibt Orientierung für die Gruppenmitglieder hinsichtlich Status, Zugehörigkeit und Intimität und macht die Gruppe handlungsfähig, um anstehende Aufgaben zu erfüllen. Allerdings weiß man nie, ob die entstandene Struktur, die beste ist. Vielleicht hätten andere Mitglieder, die nicht so prominente Positionen in der Gruppe besetzen, die besseren Ideen gehabt? Vielleicht gibt die informelle Struktur den Mitgliedern Sicherheit und Orientierung, unterdrückt aber gleichzeitig Ideenvielfalt und Kontroverse? Vielleicht war die Gruppenstruktur für die Aufgaben der Vergangenheit bestens geeignet, wird aber neuen Aufgaben nicht mehr gerecht?

Agile Gruppendynamik bedeutet also, die inneren Prozesse vor Arbeitsgruppen so zu gestalten, dass sich einerseits arbeitsfähige Gruppenstrukturen herausbilden, bei denen sich alle Gruppenmitglieder optimal einbringen können und gleichzeitig mit der Vorläufigkeit dieser Strukturen konstruktiv umgegangen wird, um zu ermöglichen, dass sich aufgaben­abhängig neue Strukturen herausbilden können, ohne dass es zu Rangkonflikten und Kränkungen innerhalb der Gruppe kommt. Um diese Prozesse, die als sehr herausfordernd und emotional erlebt werden können, einzuhegen und gleichzeitig produktiv zu fördern, brauchen agil arbeitende Gruppenmitglieder psychologische Sicherheit. Diese Gruppen­qualität ermöglicht es in einem gewissen Rahmen, interpersonelle Risiken miteinander einzugehen, ohne dass es Konsequenzen gibt. Das bedeutet konkret, andere nach Unterstützung fragen zu können, abweichende Meinungen zu äußern oder neue, ungewöhnliche Ideen einzubringen, ohne dafür durch negatives Feedback, Kritik oder Bloßstellen sanktioniert zu werden.

In unserer Arbeit mit Gruppen und in verschiedenen Forschungsprojekten interessieren wir uns für diese Zusammenhänge. Wir wollen herausfinden, wie psychologische Sicherheit in Gruppen und Teams entsteht, was eine positive Gruppendynamik charakterisiert und wie sich diese fördern lässt.

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Das nächste virtuelle artop-Kolloquium am 09.12.2020 wird Gelegenheit bieten, mehr über dieses Thema und neue Forschungsergebnisse zu erfahren. Mit gruppendynamischen Grundprinzipien erklären PD Dr. Thomas Bachmann und Katherina Quispe Bravo, wie agile Teams psychologische Sicherheit in Ihrer täglichen Zusammenarbeit etablieren und langfristig verankern. Dazu möchten wir Sie herzlich einladen!

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