Sparringspartner für Menschen in der beruflichen Neu- und Umorientierung – Interview mit Brigitte Scheidt

Brigitte Scheidt ist Psychologin und begleitet seit vielen Jahren Menschen in beruflichen Veränderungsprozessen. Als Expertin für Karriereberatung ist sie in der im Sommer 2016 erstmals stattfinden Ausbildung zum/zur Karriereberater/in bei artop vertreten. In einem Gespräch mit den artop-Beraterinnen Jana Löffler und Kathleen Grieger gibt sie einen kurzen Einblick in ihre Arbeit, ihren Ansatz und wichtige Fragestellungen in der Begegnung mit Menschen in beruflichen Veränderungsprozessen.

Wir freuen uns, Sie als Expertin für Karriereberatung in unserer Ausbildung vertreten zu wissen! Mit dem Interview möchten wir Sie unserem Netzwerk vorstellen. Und wir steigen mit dieser einfachen Frage ein: Wer sind Sie, Frau Scheidt?

Mit Ihrer Frage bieten Sie mir die Möglichkeit, direkt zu einer Grundüberlegung in der Karriereberatung zu kommen. Nach meinem Verständnis geht es bei einer grundlegenden beruflichen Veränderung immer um mehr als um neues berufliches Know-how. Für viele ist der Beruf Teil ihrer Identität, er bestimmt Sprache, Blick auf die Welt, Status u.v.m. Dies drückt sich auch in unserer Sprache aus: Wenn wir Leute treffen, fragen wir häufig, so wie Sie mich gerade gefragt haben, „Wer sind Sie?“. Ganz oft meinen wir damit „Was machen Sie?“. Insofern ist zu berücksichtigen, dass berufliche Veränderungen in der Regel auch die berufliche Identität einer Person betreffen. Zurück zu Ihrer Frage: Ich selbst bin Psychologin, Psychotherapeutin und Karriereberaterin.

Wie kam es, dass Sie sich als Psychotherapeutin der Karriereberatung gewidmet haben?

Wenn Sie sich erinnern: Zu Anfang des Jahrtausends sprach man über Themen, wie Personalabbau, Arbeitsplätze, Outplacement, Umbau des Sozialstaates. Dies spiegelte sich auch in meiner Praxis wider, statt Partnerschaften wurden alle Themen rund um den Beruf wichtig. Ich habe miterlebt, wie sehr Menschen sich angestrengt haben, mit Veränderungen im Berufsleben umzugehen, sich an die Veränderungen anzupassen. Immer wieder wurde ihnen nahegelegt: „Du musst nur wollen, dann geht das!“. Es ging aber oft nicht und sie kreideten es sich als persönliches Versagen an. Da bemerkte ich, wie ich immer ärgerlicher wurde, weil dieses „man muss nur wollen“ eigentlich nicht mit den psychologischen Erkenntnissen übereinstimmt. Menschen können in der Regel nicht einfach einen Schalter umlegen. Veränderungen, je fremdbestimmter sie sind, provozieren Widerstände – und zwar notwendigerweise. So habe ich angefangen, tiefer in das Themenfeld einzusteigen. Dann war klar, ich schreibe mal etwas dazu auf. Daraus wurde letztendlich ein ganz eigener Ansatz, den ich in meinem Buch beschreibe.

Sie haben einen eigenen Ansatz entwickelt, wie berufliche Neuorientierung stattfindet.

Ja, immer wenn es darum geht, etwas (beruflich) Neues anzugehen, heißt das immer auch, dass ein Teil unserer (beruflichen) Identität sich verändern muss. Dies gilt, wenn es um eine grundsätzliche Neuorientierung geht, aber auch wenn man z. B. die erste Führungsaufgabe übernimmt. Meine Grundhypothese lautet: Eine berufliche Neu- und Umorientierung erfordert, neben dem Erlernen von Know-how, immer einen persönlichen Entwicklungsprozess, bei dem die ganze Person gefordert ist.

Ich habe gemeinsam mit meinen Klienten geschaut: Was passiert denn da? Und wie läuft das denn ab? Was muss passieren, damit so ein Wandel gelingen kann? Ich dachte, das Ganze muss man doch auch fassbar machen können und so habe ich nach und nach ein Phasenmodell entwickelt.

In der ersten Phase, der Trennungsphase, geht es darum, sich mit dem auseinander zu setzen, was ist und eine Bilanz zu ziehen. Zu gehen, bzw. innerlich zu kündigen heißt auch, Abschied zu nehmen. Damit ich wirklich gehen kann, besteht die Herausforderung zunächst darin, sich zu verabschieden und zu trauern. Hier können schon die ersten Blockaden auftreten, die es erschweren: Z. B. „Bedenke, der Spatz in der Hand ist besser, als die Taube auf dem Dach.“, „Nur, wenn du schon weißt, was du willst, dann kannst du was ändern.“ oder „Erst die Arbeit, Vergnügen gibt es später“. Mit diesen und ähnlichen Überzeugungen bleiben Menschen an ihrem Arbeitsplatz und manche halten einfach aus. Natürlich sollte man nicht leichtfertig etwas aufgeben, aber auch aushalten kann einen großen Preis fordern. Ein Irrtum ist auch, man müsse wissen, wie die neue berufliche Alternative aussieht. Wenn es um eine wirkliche Neuorientierung geht, kann man zu Beginn in der Regel nicht wissen, wie das genaue Ergebnis sein wird.

Zurück zu den Phasen: Nach der Trennungsphase kommen vier weitere Schritte, die ich Öffnungsphase, Suchphase, Findungsphase und Zielphase genannt habe.

In jeder dieser Phasen gibt es bestimmte Aufgaben zu erledigen, die in dem Namen der Phasen stecken. Nur kann es sein, dass ich mich z. B. nicht wirklich öffnen kann, weil ich gelernt habe: „sei bescheiden“ oder „mit Gelddingen wollen wir, die Familie M., nichts zu tun haben“. Solche und ähnliche Regeln beschränken mich, genau hinzuschauen. Dies führt dazu, dass wir das Gefühl entwickeln, auf der Stelle zu treten. Dann ist es an der Zeit nach diesen Blockaden zu schauen.

In der Öffnungsphase geht es zum Beispiel darum, den Blick auf die Welt zu weiten. Es gilt herauszufinden, was erregt mein Interesse, wann wird es positiv aufregend. Dazu gehört ggf. auch Themen zuzulassen, die ich bis jetzt immer ausgeschlossen habe. Vielleicht stehen dem eigene Überzeugungen im Weg, wie: „Schuster, bleib bei deinem Leisten“, „nicht so hoch hinaus“, „ja, das steht uns nicht zu“, genauso wie „mit solchem Kleinkram geben wir uns nicht ab“ oder „das bringt doch kein Geld“. Jeder kann nachforschen, was er für eigene Sätze hat. Beschränken uns solche Regeln, dann haben wir meist das Gefühl „auf der Stelle“ zu treten. Es ist Zeit sich mit diesen Blockaden auseinander zu setzen.

Nur wenn die Aufgaben der jeweiligen Phase bewältigt sind, kann ich den nächsten Schritt machen. Sonst geht es nochmal zurück – und dann heißt es noch mal eine Extrarunde drehen.

Was ist Karriereberatung, und was ist es aus Ihrem Verständnis heraus?

Naja, Karriereberatung ist ja kein geschützter Begriff. Insofern fällt vieles darunter, wie z. B. Standortbestimmung, Filtern passender Arbeitgeber, Unterstützung bei Bewerbungsprozessen, Stärken-Schwächen-Analyse, Vorbereitung auf Assessment-Center. Im weitesten Sinne sicherlich auch Teile der Outplacement-Beratung. Es gibt viele Anwendungsfelder, in denen Karriereberatung stattfindet.

Für mich zentral ist jedoch, Menschen zu begleiten, um sie sprachfähig und antwortfähig zu machen, so dass sie ihre eigenen Kriterien entwickeln können. Ziel ist es, sie zu befähigen ihren eigenen Weg zu gehen und zu steuern. Ich sehe mich in diesem Prozess nicht als diejenige, die Bescheid weiß, was gut für den Klienten ist, sondern vielmehr als Sparringspartner.

Welche Fragestellungen stehen für Ihre Klienten heutzutage im Vordergrund?

Viele meiner Klienten kommen immer noch, weil sie sich neu orientieren wollen, einige, weil sie es müssen. Sie sind am falschen Platz, fühlen sich über- oder unterfordert. Andere wollen lernen „besser zu führen“ und haben eine Idee entwickelt, dass gutes Führen etwas mit Persönlichkeit zu tun hat.

Ich beobachte immer wieder, dass nicht wenige Menschen Schwierigkeiten haben, sich (beruflich) Grenzen zu setzen. Sie strengen sich an, sind ständig erreichbar, machen immer mehr. Manche stoßen an ihre körperlichen Grenzen und werden krank, andere erleben, dass ihre Anstrengungen nicht belohnt werden.

Sie arbeiten jetzt schon lange in diesem Feld. Was sind wichtige Erkenntnisse über ihre Arbeit als Beraterin?

Mir ist immer klarer geworden, wie wichtig es ist, dass jemand – einfach formuliert – nach innen schauen kann, sich spüren kann und zu sich stehen kann. Mit anderen Worten: Es ist ganz zentral Zutrauen in sich zu entwickeln, dies scheint mir eine Bedingung zu sein, um selbst am Steuer des eigenen Lebens zu sitzen.

Und: Ich habe ein tiefes Zutrauen in den Prozess, weil eigentlich alle Antworten bereits da sind, auch wenn wir sie nicht sehen.

Entsprechend ist auch meine Erfahrung: Wenn im Rahmen einer Neuorientierung eine große berufliche Veränderung stattfindet – z. B. ein Informatiker ist später als Ranger tätig – dann ist das nur für Außenstehende der große Shift. Alles, was da passiert, ist schon längst angelegt in der biographischen Geschichte und den damit verbundenen Wünschen.

Was sollte man mitbringen als Karriereberater/in?

Eine beraterische Grundausbildung sollte schon gewährleistet sein. Grundsätzlich – wie für jede gute Beratung – braucht man Neugier, man braucht die Idee, hilfreich sein zu wollen. Und man muss lernen, darauf zu schauen, welche Unterstützung das Gegenüber braucht. Menschen brauchen Unterschiedliches, auch eine unterschiedliche Art der Unterstützung!

Und: Für die Karriereberatung kann man sich entscheiden: Möchte man jemand sein, der sich auf bestimmte Berufswege spezialisiert berät? Solche Berater haben Branchenkenntnis, kennen die Beteiligten, kennen die Strukturen, können gut Leute beraten, um sie in den jeweiligen Unternehmen in ihrer Entwicklung zu fördern oder in andere Unternehmen zu bringen. In der Beratung, wie ich sie ausübe, bringen die Leute die jeweilige Branchenkenntnis mit. Ich stelle letztendlich fest, dass diese Arbeit nachhaltig wirkt und zu einer Ausprägung der Persönlichkeitsentwicklung führt, die Klienten befähigt ihre Schritte selbst zu bestimmen und, wie gesagt, auswahlfähig zu werden.

Vielen Dank. Wir freuen uns auf unsere gemeinsame Arbeit in der Ausbildung! Schön, dass Sie dabei sind.

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Mehr erfahren zu der Publikation „Neue Wege im Berufsleben Ein Ratgeber-, Kurs- und Arbeitsbuch zur beruflichen Neuorientierung “ von Brigitte Scheidt

Brigitte Scheidt ist Ausbilderin in der Ausbildung Karrierecoaching..  Die Ausbildung unterstützt Coachs und Berater/innen dabei , Menschen in beruflichen Orientierungsprozessen bei der Erforschung ihrer inneren Perspektiven zu helfen.

 

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